Leben

Die Sprache der Mode

Text: Stefan Böck

Die Sozialwissenschaftlerin Elizabeth Baum-Breuer forscht zum Thema Kleidung als Teil der Identität und Lebensgeschichte älterer Frauen. Ihre Erkenntnisse hat sie in einem wunder­baren Buch zusammengefasst. Ab 7. Juli kann man in Grundlsee eine dazu passende Ausstellung besuchen.

Elizabeth Baum Breuer
C_Stefan Knittel

Das Buch „Mein Kleiderkasten – Weibliche Lebensfreude bis ins hohe Alter“ geht auf eine Studie zurück, für die 25 Frauen verschiedener Milieus im Alter von 63 bis 103 Jahren interviewt wurden. Für die Autorin hat sich herausgestellt, welche wichtige Rolle Kleidungsstücke und Artefakte für die Erinnerung haben und welch großen Beitrag sie in der Biografiearbeit leisten können.
„In der Biografiearbeit versucht man sich der eigenen Geschichte anzunähern, das Erlebte zu ordnen, vielleicht sogar offene Konflikte oder Fragen zu klären. Es geht um eine Integration der Vergangenheit in die Gegenwart“, erklärt die Sozialwissenschaftlerin. So war das Thema Mode Ausgangspunkt der berührenden Interviews, in denen oftmals wichtige Lebensthemen zur Sprache kommen. Als Essenz ihrer Arbeit brachten die Gespräche sieben Schlüsselthemen zum Vorschein. 

Identität und Stil

Den eigenen Stil zu entdecken ist oft eine gezielte Handlung, ein Prozess. Manche der für die Studie befragten Damen konnten ihren Stil alleine finden, andere haben sich Hilfe geholt, sei es durch Modeverkäuferinnen, eine Stil- oder Farbberaterin, durch Freundinnen oder Töchter. Manche mussten sich den eigenen Stil erkämpfen. Elizabeth Baum-Breuer: „Man kann nicht stilvoll sein ohne Selbsterkenntnis und Selbstakzeptanz. Der lange Weg, den eigenen Stil zu finden, hat viel mit Prioritäten, Disziplin und Loslassen zu tun und manchmal benötigt man Unterstützung. Hat man den eigenen Stil einmal gefunden, ist man für sich selber gut gekleidet und zufrieden.“

Erinnerungen und Vorbilder

Für viele ältere Frauen waren „gepflegte und elegante“ Mütter die Vorbilder. Gerade bei den Müttern, die als positive Vorbilder genannt wurden, war ein Interesse um das modische Erscheinungsbild ihrer Töchter stets vorhanden. Andere Mütter der Interviewpartnerinnen werden als negative Vorbilder eingestuft, entweder weil sie völlig desinteressiert an Mode und Bekleidung waren, schlechten Geschmack hatten oder vordergründig nur an sich dachten. Dankbar erwähnt wurden Personen, die ehrlich sagten, was der jeweiligen Trägerin steht oder nicht. Dies waren oftmals die Tanten.

Interesse für Mode

Ist in der Jugend die äußere Wirkung Triebfeder des Kleidens, so tritt im Alter die Wirkung für sich selbst in den Vordergrund. „Für ältere Damen wird Mode markant wichtiger, denn sie haben wesentlich mehr Zeit, darauf zu achten“, erklärt die Autorin. Hinzu kommt, dass es inzwischen viele Möglichkeiten zum Einkaufen gibt: online, Kataloge, aber auch Secondhand, Tausch-Events und natürlich Geschäfte und Boutiquen. Ältere Frauen stechen weniger mit schreienden Farben oder gewagten Outfits hervor. Ihr Modestatement ist subtiler, verschwiegener, ja intimer, doch das ist kein Gesetz. So weist Elizabeth Baum-Breuer etwa auf Stilikone Iris Apfel hin, die zu bunter und auffallender Kleidung aufruft: „Erfinderisch sein, lautet die Devise.“

Befindlichkeit und Gefühle

Bei der Lektüre des Buches fällt auf, wie selbstbewusst und selbstverständlich die Damen ihre Kleidung nach dem Wohlfühl-Faktor und dem Anspruch, sich selbst gefallen zu wollen, auswählen. Es ist beeindruckend, wie wichtig sie sich selbst nehmen. „Schön gekleidet zu sein ist Ziel, Motor und Trost. Kleidung kann das Selbstbewusstsein heben, aber sie kann auch, wenn man sich nicht wohl darin fühlt, genau das Gegenteil bewirken. Es ist daher elementar wichtig, dass sich Frauen in ihrer Kleidung wohlfühlen“, erklärt Baum-Breuer.

Farben

Das Wechselspiel der Modeindustrie mit dem Diktat der „Saisonfarben“ wird von den Befragten sehr kritisch gesehen. Umso wichtiger sei es, dass jeder Frau klar ist, was ihr selber gut steht, ist die Autorin sicher: „Sehr divergierend waren die Antworten zur ,Farbe‘ Schwarz. Einerseits wird davon geschwärmt, da sie äußerst elegant ist und sich so gut kombinieren lässt. Unbestritten ist Schwarz gut geeignet, gewisse Stellen ein wenig zu ,kaschieren‘, und sie passt auch gut zu weißen Haaren. Andererseits wird Schwarz häufig mit Begräbnissen und Trauer assoziiert und diese unausweichliche Perspektive rückt näher, je höher die Jahreszahl im Lebenslauf ist.“

Neue Lebensphasen

In Lebensübergängen wie beispielsweise dem Wechsel in eine andere Wohnumgebung, dem Austritt aus dem Berufsleben oder nach dem Verlust von Partner*innen stellt sich die Frage, wie man damit umgeht. Hat es Sinn, sich gut anzuziehen, sich zu schminken oder Schmuck anzulegen? Oder ist es nicht bequemer, einfach in der Jogginghose zu bleiben? Die Sozialwissenschaftlerin glaubt, dass „Sich-Herrichten“ helfen kann, Lebensübergänge zu bewältigen: „Viele Frauen gewinnen, wenn sie älter werden, an Konturen. Die gereifte Persönlichkeit lässt die Gesichtszüge klarer und mitunter kantiger werden. Das modische Erscheinungsbild unterstreicht diesen Prozess der inneren Veränderung.“ Deshalb wird im Buch auch „Disziplin“ als notwendige Tugend in Sachen Mode im Alter genannt.

Nachhaltigkeit

Kleidungsstücke auf Qualität hin auszuwählen, ist ein Motiv, das viele ältere Frauen bewegt. Der Umgang mit Kleidungsstücken aktiviert alle Sinne. Sie riechen, sie können ertastet werden, das Auge kann sich erfreuen. „Kleidungsstücke sind eindeutig ein Katalysator für Erinnerungen“, ist Baum-Breuer überzeugt. Nachhaltigkeit bedeutet auch, dass Kleidungsstücke und modische Gegenstände an die nächste Generation weitergeben werden wollen. „Viele ältere Frauen machen sich Gedanken hinsichtlich der Produktion und Herstellung ihrer Kleidungsstücke. Es ist ihnen wichtig, welche Stoffe verwendet wurden, ob diese aus Naturfasern gefertigt sind und wie und unter welchen Bedingungen für die Näherinnen die Kleidungsstücke produziert werden“, so Elizabeth Baum-Breuer.
 

Buchtipp

Mein Kleiderkasten – Weibliche Lebensfreude bis ins hohe Alter. Elizabeth Baum-Breuer (Kral Verlag: 978-3-99103-043-0).

Ausstellungstipp

Eine Ausstellung zum Buch ist ab 7. Juli 2023 im Kaiserlichen Stall Grundlsee zu sehen. Link zur Ausstellung.

Elizabeth Baum-Breuer "Mein Kleiderkasten"