Gesprächsstoff

"Es ist gut, neugierig zu bleiben"

Interview: Katrin Kuba

Am 10. Juli feiert die Kabarettistin, Moderatorin 
und ÖBB-Stimme Chris Lohner ihren 80. Geburtstag. 
Voller Lebensfreude, Energie und Klarheit spricht 
die Wienerin mit SEIN über ihre Pläne, tiefgehende 
Erkenntnisse und die Wichtigkeit des Jetzt.

Chris Lohner
Foto: Inge Prader

Derzeit beschäftigen uns viele Krisen. Wie erhalten Sie sich Ihren Optimismus?
Ich versuche, mich seelisch schön zu halten. Zum Frühstück überlege ich mir, wie war mein alter Tag, wie wird mein neuer. Ich stell’ mir eine Blume hin oder gehe spazieren und lüfte mein Hirn aus. Ich hab’ ja wieder ein kleines Cairn-Terrier-Mädchen, das braucht Auslauf. Zudem versuche ich, die Menschen in meinem Umfeld zu unterhalten. Ich erzähle humorige Geschichten, die ablenken. Aber natürlich beschäftigt mich die Situation der Welt. Wenn ich bedenke, dass jede Minute ein Kind verhungert, sind die Probleme hier Seifenblasen. Ich kenne ja mehr als meinen Suppenteller, bin seit über 20 Jahren in Armutsgebieten der Welt unterwegs, da sieht und erlebt man andere Dinge. Ich frage mich: Wo geht das alles hin?

Sich für andere einzusetzen, zieht sich durch Ihr ganzes Leben. Woher rührt Ihre Zivilcourage? 
Die habe ich sicher von meinem Vater. Er war ja Direktor der Wiener Volkshochschulen und ein Mensch, der für jeden, der zu ihm kam und Hilfe oder Rat gebraucht hat, da war. Daher rührt mein Helfersyndrom, Menschen zu unterstützen, denen es schlechter geht als mir. Die anderen können sich eh selbst helfen. Was ich so wichtig finde: Alles ist rückbezüglich. Auch helfen. Man hat was davon. 

Gab es bei Ihnen irgendwann DEN Punkt, wo Sie für sich einen Quantensprung an Persönlichkeitsentwicklung wahrgenommen haben?
Das war nicht plötzlich. Bei mir hat das mit Ende 20 begonnen, dass ich mich mehr mit mir, der Umwelt und den Menschen auseinandergesetzt habe. Jeder von uns hat ja eine andere Geschichte und ein anderes Temperament. Und damit auch andere Talente. Eine Pro- und Contra-Liste zu machen und ganz ehrlich mit sich umzugehen, das macht Sinn. An sich hört man ja da auf, wo man sich selbst nicht so gut gefällt. Geht man aber über diese Schwelle, erfährt man viel für sich und kann auch damit umgehen. Das macht die Entwicklung aus.

Im Sommer feiern Sie Ihren 80er. Mit 70 sagten Sie „Ich fühl’ mich wohler als mit 20.“ Wie geht es Ihnen jetzt?
Das ist auch dieses Mal so. Ich kenne mich jetzt schon gut aus mit mir, daraus bin ich mittig geworden. Es ist einfach gut, bei sich zu bleiben, sich treu zu bleiben, neugierig zu bleiben, zu genießen, was man hat. Da ist eine gewisse Demut angebracht. Man muss sich annehmen und nicht der ewigen ­Jugend nachtrauern, die es eh nicht gibt. Ich bin außerdem ein Jetzt-Mensch und genieße jeden Tag. Dafür muss man sich Sachen suchen, die das Herz wärmen. Und den Humor darf man nie verlieren. Ja, Liebe und Humor – das sind die wichtigsten Dinge. Die halten einen jung im 
Kopf.

Welche Pläne haben Sie für dieses Jahr gefasst?
Zuletzt spielte ich mit Toni von MontiBeton das Programm „Bazooka und die Vier im Jeep“. Dabei erzähle ich Geschichten aus meiner Kindheit in Wien, er macht die Musik. Im Herbst spiele ich in Baden in My Fair Lady die Haushälterin von Higgins. Meinen Achtziger feiere ich auf Jamaika – bei einem Strand-Dinner mit Freunden. Und zwischendurch bekomme ich ein neues Knie. Das zweite hab’ ich schon neu, genauso wie meine beiden Hüften. Ich bin dann mit 80 rundum erneuert. 

Wie hat sich Ihre Einstellung zum Leben mit den Jahren verändert? 
Ich weiß, wie wichtig Fehler sind. Aus denen lernt man und nicht aus Erfolgen. Ich glaube, dass jeder Mensch, der einem begegnet, etwas hinterlässt. Man nimmt von jedem etwas mit! Das ist das, was Persönlichkeit ausmacht. Klar, man hat mit 20 vielleicht Charisma – das kann man nicht lernen –, aber noch keine Persönlichkeit. Die entwickelt sich durch Begegnungen und Erlebtes. Und es geht darum, Menschen so anzunehmen, wie sie sind. Leben und leben lassen, ist mein Motto.

Haben Sie eine Vorstellung davon, wie das 100-jährige Ich der Chris Lohner aussieht? 
Keine Ahnung. Aber ich würde großen Wert darauf legen, dass mein Hirn funktioniert. Sollte ich merken, dass dem nicht mehr ganz so ist, bin ich in der Schweiz angemeldet. Ich möchte selbst entscheiden, wann ich von der Welt gehe. Das ist ein Menschenrecht. Davor würde ich noch von all meinen Freunden hören wollen, was sie an meinem Grab sagen würden. Das fände ich eigentlich sehr nett.

Zur Person

Bühne, Bücher, Bahn

Chris Lohner, geboren am 10. Juli 1943 in Wien, bekam ein High-School-Stipendium in den USA und begann in dieser Zeit auch ein Schauspielstudium. Zurück in Österreich setzte sie diesen Weg fort – das Studium finanzierte sie durch Jobs als Foto-Model in Italien, Frankreich, der Schweiz und Deutschland. Ab 1973 war Lohner Sprecherin und Moderatorin diverser Sendungen des ORF, bei Ö3, 3sat, Ö1. 1994 feierte sie ihr Bühnendebüt. Es folgten Eigenproduktionen, Kabarettprogramme und Bestseller als Buchautorin („Keiner liebt mich so wie ich“, Ueberreuter, 1997).
Seit 1979 – mit kurzer Unterbrechung – ist die Wienerin auch Stimme der Österreichischen Bundesbahnen, seit 2015 in digitalisierter Form: „Dafür habe ich je 15.000 Sätze auf Deutsch und Englisch aufgenommen. Mitunter völlig unzusammenhängende Wörter, das war was.“ Auszeichnungen wie „Die Goldene Romy“ oder das „Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich“ sammelte sie genauso wie den „Greineckerpreis für Zivilcourage“. Im Dienste von „Licht für die Welt“ ist Chris Lohner mehrmals im Jahr in Afrika und unterstützt augenkranke Menschen.
Privat war Chris Lohner 15 Jahre lang mit dem Ex-Tennisprofi und Reggae-Sänger Lance Lumsden zusammen und blieb bis zu dessen Tod 2011 freundschaftlich mit ihm verbunden. Heute lebt sie als Single an der südlichen Stadtgrenze von Wien.