Leben

Es Weihnachtet

Wie wollen wir eigentlich heuer Weihnachten feiern? Jetzt ist der ideale Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen, damit es ein Frohes Fest nach Ihren Vorstellungen wird.


Text: Katrin Kuba

Tiefverschneite Landschaft, ein Erwachsener und ein Kind tragen einen Weihnachtsbaum aus dem Wald
Foto: Halfpoint iStock via Getty Images

Das Haus ist dekoriert, die Kekse sind gebacken, die Geschenke größtenteils eingekauft. Aber da ist noch so viel mehr zu tun bis zum 24.: Weihnachtspost verschicken, Haus putzen und zusammenräumen, Fischsuppe vorbereiten, Truthahn abholen, Packerln fertig machen, Baum schmücken, Tisch decken, Weihnachtslieder studieren, Gedichte auswählen, Getränke einkühlen und dann hoffen, dass alle Gäste glücklich und zufrieden sind. – Das ist Weihnachten, das Fest der Liebe, der Tradition. Und der Erwartungen, die alle erfüllt werden sollen! Gar nicht so einfach, denn meist hat sich die Aufgabenverteilung seit Jahrzehnten festgesetzt und vielleicht feiert man nur noch der Familie zuliebe wie bisher. Aber wo bleibt man selbst? Wie steht es um die eigenen Wünsche? Und wie soll das heurige Weihnachten sein? Wer offen kommuniziert und Klarheit mit sich bringt, kann jedwede Änderung mit der Familie im Einklang besprechen und rechtzeitig ein erfüllendes Fest für sich konzipieren. Und das mit viel Liebe, Wertschätzung und Respekt.“


Fest der Emotionen


Warum aber ist Weihnachten überhaupt ein so emotionales Fest? „Weil es mit seinen Traditionen, die sich im Verlauf der Geschichte in den Köpfen festgesetzt haben, die tiefe Sehnsucht nach Frieden, das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und mütterlichem Umsorgtwerden sowie das Verlangen nach Schutz und väterlicher Fürsorge anspricht. Es spiegelt das Idealbild einer idealisierten Familie“, hat Rudolf Karl Schipfer vom Institut für Familienforschung eine Erklärung. Eine Umfrage des Linzer Market Instituts untermauert das: Für 72 Prozent der in Österreich Lebenden ist es äußerst wichtig, ein „friedliches Familienfest“ zu verbringen. 19 Prozent bezeichnen es immerhin noch als wichtig. Die unter 30-Jährigen übertreffen hier sogar die Wünsche der Älteren. Während es ab 30 nur noch die Hälfte für wichtig findet, „die Verwandten um sich zu haben“, gehört das für 72 Prozent der 16- bis 29-Jährigen zum Weihnachtsfest. 
„Lichter, Kerzen, Geschichten rund um das Christkind, aber auch der Duft der Weihnachtsbäckerei – all das sind Erinnerungen, die Weihnachten emotional aufladen. Genauso spielt der Jahresverlauf eine Rolle, denn es ist dunkler, die Energie geht nach innen, im Sinne von ‚ins Haus hinein‘. Dadurch wird im Winter auch die Familie wichtiger als im Sommer“, so die Familientherapeutin Sabine Bösel. Ihr Mann Roland, ebenfalls Psychologe, macht die Vorfreude mitverantwortlich für all die Emotionen: „Sie erzeugt mitunter die stärksten Regungen im Gehirn. Aus der Kindheit erinnern wir uns an all die besonderen Ereignisse rund um Advent und Weihnachten und diese möchten wir ­reproduzieren.“ 


Konfliktpotenzial und Stress


Familienforscher Schipfer weiß um die Herausforderungen, die all das mit sich bringt: „Es entsteht eine oft unüberbrückbare Diskrepanz zwischen unstillbaren Sehnsüchten und real erfüllbaren Erwartungen. Das Verlangen nach Nähe zu den anderen Menschen und nach allem, was man das ganze Jahr über oft vermisst, kommt dann hoch. Die Brüchigkeit der Idealvorstellungen wird geballt an einem Tag sichtbar – von Streit mit den Kindern, Ungeduld bis hin zu übermächtigen Wunschvorstellungen.“ Es sind die Dinge, die das ganze Jahr unter den Teppich gekehrt werden. Es ist das Zusammentreffen von Menschen, die sich sonst vielleicht das ganze Jahr über nur auf Distanz begegnen. Es sind Veränderungen, die Althergebrachtes angreifen. Wenn jemand ausschert und zum Beispiel vorschlägt, die Geschenketradition zu verändern oder mal keinen Truthahn zu essen oder weniger Festbeleuchtung aufzuhängen. 
All das birgt Konfliktpotenzial und macht Stress. Doch genau diesen mag eigentlich niemand haben, rund um die besinnlichste Zeit des Jahres. Die Zeit der Weihnachtsbräuche, die die Zusammengehörigkeit fördern sollen und eine Gegenwelt zum Alltag darstellen dürfen. Und dennoch fühlen sich 57 Prozent der Österreicher*innen so richtig unter Druck. Eine Umfrage des Onlinemarktforschungsinstituts meinungsraum.at belegt: Die größten Ursachen sind mit 32 Prozent die Weihnachtseinkäufe, 23 Prozent fühlen sich durch das Besorgen und Aussuchen von Geschenken gestresst und zehn Prozent stört die Hektik anderer Leute. 
„Es macht also wirklich Sinn, sich schon im November zu fragen: ‚Was will ich heuer ausprobieren, anders machen? Was will ich weglassen?‘ Nach dem Motto ‚Weniger verändern ist mehr‘. Denn wenn ich eine lange Liste von Veränderungen herbeiführen will, wird sich gar nichts tun. Schließlich hat sich in unserem Gehirn vieles über Jahre festgesetzt und ein einziges Weihnachtsfest programmiert uns nicht neu“, ist Psychologe Bösel sicher, dass es nur Schritt für Schritt klappen kann. Pia Kasa, Coach und Resilienztrainerin, arbeitet auch gerne mit diesen Fragen, wenn sich jemand auf den Weg zur Klarheit macht: „Wie war das Fest in meiner Kindheit? Was davon hat mir gefallen? Was möchte ich gerne anders haben und warum? Und wenn ich meinen Freunden zuhöre: Was gefällt mir bzw. wo bin ich vielleicht neidisch? Der aufkommende Neid kann inspirierend sein. Im Sinne von ‚Wow, so möchte ich es auch gerne haben!‘“ 


Veränderung kommunizieren


Angst davor, dass Wünsche nicht gehört werden, braucht es nicht. „Ablehnung gegenüber Neuem ist völlig normal, da sich Menschen gerne in alten, sicheren Bahnen bewegen“, so Kasa. Wer allerdings klare Wünsche hat, kann diese auch klar kommunizieren. Unabhängig vom Alter und der Situation ist es oft erforderlich, Entscheidungen einfach zu treffen. Zu sagen: „So ist das jetzt.“ „Das wirkt häufig entlastend auf alle, weil ein Thema vom Tisch ist und dann zum Beispiel feststeht, wie klein oder groß der Weihnachtsbaum wird. Oder dass man in diesem Jahr essen geht, statt den Kochaufwand selbst zu betreiben. Oder wer eben in diesem Jahr nicht am Fest teilnimmt“, kennt Sabine Bösel Veränderungen auch aus ihrer eigenen Familie. „Bei mir war das Kekse backen so ein Thema. Ich habe das früher mit den Kindern gemacht, einen Nachmittag lang. Herausgekommen ist dabei, dass ich alles alleine fertig gemacht habe und ewig lange in der Küche gestanden bin. Jetzt habe ich das Backen gestrichen, Süßigkeiten bekommt man ohnehin immer geschenkt.“


Ein Stück loslassen


Mut also zur Offenheit und zu einem rundum woh­ligen Gefühl. Denn gute Beziehungen beginnen generell mit Selbstfürsorge. „Statt eigene Wünsche zu übergehen, sollte man sich fragen, was mit einem passiert, wenn man nichts sagt und weitermacht wie bisher“, so Familientherapeut Bösel. „Das allein macht oft Mut, doch darüber zu sprechen. Wenn wir noch nach dem Mut suchen, die anderen über eine Entscheidung zu informieren, kann es helfen, die Wünsche mal für sich aufzuschreiben, etwa in Briefform oder in einem Brief ans Christkind.“
Dazu passend hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa Strategien zur Stressminimierung abgefragt. Top gerankt mit 45 Prozent „Geschenke rechtzeitiger kaufen“, gefolgt von „nicht an allen vorweihnachtlichen Aktivitäten teilnehmen“ mit 34 Prozent. Gut 29 Prozent der Befragten planen, die Festtagsmenüs etwas weniger üppig zu gestalten und die Anzahl der Geschenke zu reduzieren. Schließlich geht es rund um die Festtage nicht um Perfektion. Es soll Spaß machen, gemeinsam zu kochen, Baum zu schmücken oder Tisch zu decken. „Auch wenn Weihnachten zu einem profanen Fest geworden ist, es schwebt etwas Höheres, Geistiges, Transzendentales über dem Fest, das ein Urbedürfnis nach Vollkommenheit und Glück anspricht“, so Wissenschaftler Schipfer. 
Zeit zu schenken oder einen Brief der Wertschätzung zu schreiben übertrifft die Wirkung von Materiellem sehr leicht. Sabine Bösel: „Gereiften Menschen geht es nicht mehr um die Materialschlacht, da geht es um Aufmerksamkeit. Die Lebenserfahrung lässt einen mehr schätzen, was man hat. Man ist zurückhaltender und bescheidener. Und man gibt sich die Erlaubnis, ein Stück loszulassen, weil man für gewöhnlich immer mehr in die Ebene kommt, versorgt zu werden statt andere zu versorgen.“ Und damit kommt man auch ein Stück weit bei der Ursprungsbedeutung von Weihnachten an: Im antiken Rom feierte man den unbesiegbaren Sonnengott, in der römischen Kirche das Geburtsfest Christi als Sonne der Gerechtigkeit und Licht der Welt. Wer also Licht in sein Dunkel bringt und sich seiner Wünsche bewusst wird, wird so richtig strahlen zum Heiligen Abend.